Nach vielen Stunden Fahrt kamen wir in aller Frühe in einem verschlafenen Dorf namens Chuy an. Die brasilianisch-uruguayische Grenze wird im Ortskern durch eine Linie auf der internationalen Straße markiert, so dass wir erneut zu Fuß das Land wechselten. Von hier aus wollten wir mit dem nächsten Bus gleich weiter nach Castillos, was nicht weniger verschlafen war und im Gegensatz zu den vielen großen und kleinen Städten in Brasilien eine willkommene Ruhe ausstrahlte. Die spanische Welt hatte uns also wieder...
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Überflutete Pampa-Wiesen...
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Uruguay, das in der Sprachen Guaraní soviel wie «Fluss der bunten Vögel» bedeutet, präsentierte sich in den ersten Tagen als Ort der Erholung und Gelassenheit, was uns super gefallen hat, denn nun waren wir schon viele Monate unterwegs und konnten ein paar Tage Gemütlichkeit durchaus gebrauchen! Nach und nach erkundeten wir die Umgebung, die sich zu dieser Jahreszeit von ihrer schönsten Seite zeigte: das Bild war geprägt von endlosen Straßen, die großflächig überflutete Wiesen durchschnitten, auf denen zwischen vereinzelten Palmen immer wieder Viehherden ein ruhiges Leben weitab von Stress und Hektik genossen.
Aber die Abgeschiedenheit hatte auch ihre Kehrseite - da wir hier nicht zur touristischen Hochsaison unterwegs waren, hatten wir Schwierigkeiten, zu den sonst gut besuchten Touristen-Attraktionen vorzudringen. Ein Beispiel dafür war der mystische Wald aus uralten Ombúes-Bäumen (Phytolacca dioica), der nur per Boot erreicht werden kann. Leider war an den meisten Winter-Tagen weit und breit kein Boot aufzutreiben, was uns dort hinbringen würde - so sind wir kurzentschlossen in das nächste Dorf gewandert und haben an einem menschenleeren Strand nur dem Rauschen der Wellen gelauscht.
Maldonado war unsere nächste und letzte Zwischenstation, bevor wir die Hauptstadt Montevideo erreichen würden. Von uns völlig unbemerkt geblieben hatte ein Orkan ein paar Tage zuvor an der Südküste Uruguays in vielen Orten schwere Schäden angerichtet - so auch hier in Maldonado, wo neben umgeknickten Bäumen auch einige Gebäude betroffen waren. Als südlichster Punkt Uruguays ragt die Landspitze, auf der sich Maldonado und das für seinen Massentourismus ungleich bekanntere Punta del Este befinden, weit in den Atlantik hinein und ist besonders anfällig für starke Winde. Insgesamt war diese Gegend für uns eher uninteressant, weshalb wir uns bald auf den Weg in die Hauptstadt machten, wo eine ungewöhnliche Überraschung auf uns wartete...
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Pferdekarren in Montevideo.
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Es waren vor allem die Bäume, die hundertfach die Straßen von Montevideo säumten und dazu beitrugen, dass sich das Bild von fast allen anderen Städten in Südamerika unterschied. Selbst hier, in der einzigen Großstadt Uruguays ging es vergleichsweise gemütlich zu. Wir beschlossen also, ein paar Tage länger zu bleiben und kamen bei ein paar sehr netten jungen Leuten von SERVAS Uruguay unter. Hier lernten wir unverhofft die Betreuerin des letzten in Uruguay lebenden Mitgliedes der Besatzung der Admiral Graf Spee kennen. Als sie uns dann fragte, ob wir nicht einen Ausflug in die deutsche Geschichte unternehmen wollten, haben wir natürlich zugesagt, ohne auch nur einen Augenblick zu überlegen.
Plötzlich waren wir also auf dem Weg, Friedrich Adolph - mittlerweile schon 86 Jahre alt - in seiner Wohnung in Montevideo zu besuchen. Er und seine liebe Frau, Lotte Claas, plauderten über die Seeschlacht in der Mündung des Río de la Plata im Dezember 1939, über die Strapazen auf See und über den gemeinsamen Neuanfang in Uruguay. Wir sahen uns hier mit lebendiger Geschichte konfrontiert und saßen dem Menschen gegenüber, der als einziger von vielen damals hier zurückgelassenen Besatzungsmitgliedern noch am Leben war!
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Friedrich Adolph, in Uruguay letzter Überlebender der «Graf Spee».
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Ein weiteres Ereignis sollte sich gerade hier in Montevideo abspielen: unsere Teilnahme an der Bundestagswahl 2005! Für uns war es ein Anliegen, aber vor allem eine echte Herausforderung, von hier aus unsere Stimme abzugeben, denn offensichtlich schienen Reisende, die längere Zeit unterwegs waren, nicht so einfach teilnehmen zu können. Entweder musste man nämlich einen ausländischen Pass vorweisen (siehe Wahlrecht für Deutsche im Ausland) oder die Briefwahl beantragen, was wegen der knappen Zeit der vorgezogenen Wahl schlecht möglich war... So leicht ließen wir uns aber nicht abschrecken - schon in Rio de Janeiro hatten wir uns an die dortige Deutsche Botschaft sowie das Auswärtige Amt und den Wahlleiter des Landes Berlin gewandt, um unsere Unterlagen hier nach Uruguay schicken zu lassen.
Nun standen wir vor der Deutschen Botschaft in Montevideo und waren gespannt, ob wir von hier aus jetzt wählen könnten. Und siehe da - alles war arrangiert und wir machten unsere Kreuzchen in der Hoffnung, dass die Unterlagen auch ihren Weg zurück nach Deutschland finden. Nachdem auch dies erledigt war, konnten wir unsere Reise frohen Mutes fortsetzen, denn ein weiteres Abenteuer wartete bereits auf uns. Es war unser Traum gewesen, einmal weitab von Zivilisation und Verkehr, Lärm und Hektik ein paar Tage auf einer Estancia zu verbringen, und als wir solch eine Einladung für die nächsten Tage erhielten, sollte sich dieser Traum erfüllen.
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Reiten - Alltag auf einer Estancia.
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Schon beim Lesen der Adresse «Ruta 3, Km 111» war klar, dass wir jegliche urbane Zone verlassen hatten und mehr mit Kühen und Schafen als mit Menschen zu tun haben würden. So durften wir dann auch schon während der Hinfahrt bei einem Zwischenstop kräftig mit zupacken, als es darum ging, auf der Weide des Nachbarn die Milchkühe zu füttern. In den folgenden Tagen sollten wir das Landleben so richtig genießen lernen.
Erst einmal lernten wir reiten und zogen zusammen mit einem Arbeiter stundenlang zu Pferd kreuz und quer über die Wiesen und Weiden der Estancia, um nach dem Vieh, kaputten Zäunen und sonstigen Auffälligkeiten zu schauen. Dann aßen wir hier das beste und gesündeste Fleisch unseres Lebens, denn die hauseigenen Rinder werden nicht nur direkt auf der Weide frei geboren, sondern wachsen auch ganz ohne menschliche Hilfe auf und kennen deshalb weder Futterzusatz noch Stallhaltung oder ähnliches!
Abends saßen wir zusammen in der Küche, wo das Feuer im Herd die nötige Wärme lieferte. Wir erkannten schnell, dass es das unschätzbare Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit ist, worauf die Menschen auf ihren Estancias noch heute besonders stolz sind. Und wer einmal hoch zu Ross ohne Zeitdruck querfeldein durch die endlose Pampa geritten ist, der weiß, wovon wir hier reden... Es fiel uns dementsprechend schwer, uns von dieser Art Leben zu trennen, aber wenn wir noch bis Feuerland kommen wollten, dann mussten wir zusehen, dass wir das kleinste Land auf unserer Reise bald verließen. Eine Attraktion lag aber noch auf unserem Weg, und zwar Colonia del Sacramento - die älteste Stadt Uruguays.
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Die «Calle de los Suspiros» in Colonia del Sacramento.
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In dem Moment, in dem wir Colonia del Sacramento betraten, fühlten wir uns in eine andere Zeit zurückversetzt. Es waren nicht nur die vielen sehr alten Autos, die bei uns eher einen Ehrenplatz in einem Oldtimer-Museum bekommen würden, sondern auch die kolonialen Gebäude und Straßen. Diese Stadt, einst von den Portugiesen als strategisch wichtiger Verteidigungs-Punkt am Río de la Plata gegründet und seitdem viele Male von argentinischem Boden aus erobert und danach wieder zurückerobert, weist noch heute überwiegend portugiesischen Einfluss im Stadtbild auf. Speziell das Gebiet um die Straße «Calle de los Suspiros» dient als anschauliches Beispiel, wie es hier jahrhundertelang ausgesehen hat.
Es war noch mitten in der Nacht, als wir unsere Sachen packten und losstiefelten, um die Fähre nach Argentinien zu nehmen. Natürlich hätten wir ausschlafen und gemütlich frühstücken können, um dann im Laufe des Vormittags mit einer anderen Fähre überzusetzen - diese wurde nämlich überwiegend von anderen Touristen benutzt, war aber auch doppelt so teuer! Also taten wir es lieber den Einheimischen gleich und standen sehr früh auf, bekamen dafür allerdings nach endloser Wartezeit beim Check-In gegen fünf Uhr morgens einen wunderschönen Sonnenaufgang über dem «Río de la Plata» (Silberfluss) zu sehen.
Damit lag es hinter uns - Uruguay, ein Land, das wir uns vorher bestimmt nicht so angenehm, so sicher und so reich an unvergesslichen Erfahrungen vorgestellt hatten. Was auf uns wartete, war dagegen ein Land, von dem wir schon sehr viel gehört hatten - angefangen bei Buenos Aires, der Stadt des Tango Argentino, bis hin zu Feuerland am Ende der Welt - doch bis dahin waren es noch viele tausend Kilometer. Wir hatten jedoch alles gut geplant und die Zeit so eingeteilt, dass wir auch in Argentinien nichts ungesehen lassen mussten und auch das Klima schien mitzuspielen, denn es war bisher zwar nicht gerade sehr warm in Uruguay gewesen, doch der Frühling konnte schließlich nicht ewig auf sich warten lassen! Trotzdem sollte wieder einmal alles ganz anders kommen als erwartet... Mehr zu Argentinien.
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