Eine unglaubliche Menschenmenge drängte sich über die Brücke. Im Sog des Stroms ging es vom paraguayischen Ciudad del Este über die «Puente de la Amistad» (Brücke der Freundschaft) ins brasilianische Foz do Iguaçu. Kontrollposten gab es zwar, doch es war weder möglich, die Massen abzufertigen, noch schien das jemand zu wollen. Auf brasilianischer Seite mussten wir uns sogar erst durchfragen, um den Einreisestempel zu bekommen. Endlich Brasilien! Es war so ganz anders als die spanisch sprechenden Länder - wie anders, das würden wir noch zu spüren bekommen...
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Die «Cataratas del Iguazú» - 85m hohe Wasserfälle.
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Glasflügelfalter im Nationalpark Iguazú nahe den Wasserfällen.
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Das Erste, was wir hier lernen mussten, war die für fast den gesamten Süden dieses riesigen Landes typische Sprache: Portuñol. Diese Mischung aus Spanisch und Portugiesisch stammt zwar ursprünglich aus dem Norden Uruguays, der im Zuge von Streitigkeiten 150 Jahre lang abwechselnd im Besitz der spanischen und der portugiesischen Krone war, wird aber zumindest überall im touristisch erschlossenen Süden Brasiliens verstanden. So blieb es uns einerseits erspart, das besonders in seiner Aussprache eigenwillige Portugiesisch zu lernen, andererseits merkten wir erst hier, wie gut wir uns doch schon mit Spanisch in den anderen Ländern verständigen konnten!
In Foz do Iguaçu nahmen wir uns ein paar Tage Zeit, um uns an Brasilien zu gewöhnen und unseren zweitägigen Ausflug zu den größten Wasserfällen Amerikas zu planen - den Cataratas del Iguazú.
Nicht nur die Sprache war hier anders als bisher, sondern vor allem die Menschen! Es gab so gut wie keine Indígenas, die man bisher noch überall sah und die auch weiter nördlich in Brasilien noch zahlenmäßig gut vertreten sind. Dafür sahen wir viele farbige Menschen, die hier als Nachfahren der jahrhundertelang nach Brasilien verschleppten afrikanischen Sklaven einen Großteil der Bevölkerung ausmachen. Unabhängig davon waren wir von der herzlichen Art, der Offenheit und der Fröhlichkeit überwältigt, die uns von allen Seiten entgegenkamen und die uns in diesem Maße in keinem der anderen Länder wieder begegnete. Während es beispielsweise nach Aussagen verschiedener in Peru lebender Personen dort keine Homosexuellen gab, ging man hier ganz offen und locker damit um. Andererseits weisen gerade die Großstädte hier eine besonders hohe Kriminalitätsrate auf. Doch am Ende sollte uns vor allem die Herzlichkeit der Menschen in ihren Bann ziehen...
Aber zurück zur Natur. Was auf uns wartete, war nicht etwa ein Wasserfall - es war vielmehr eine gigantische Schlucht, in der auf einer Breite von 2780m unzähmbare Wassermassen bis zu 85m mit einem unbeschreiblichen Lärm in die Tiefe stürzten! Zwei ganze Tage lang haben wir uns das Spektakel angesehen, haben fantastische Ausblicke auf der brasilianischen Seite genossen, sind direkt an den Wasserfällen auf argentinischer Seite entlanggewandert und haben neben einer Capybara-Familie - besser bekannt als Wasserschweine (Hydrochoerus hydrochaeris) unzählige Vögel, wie etwa einen Tukan (Ramphastos spp.), und Schmetterlinge beobachtet, darunter auch einen unscheinbaren und doch wunderschönen Glasflügelfalter (Greta oto).
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Skyline von São Paulo - ein Meer aus Hochhäusern!
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Die Monster vom Vergnügungspark «Playcenter» in São Paulo.
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Nach so viel Naturerlebnis wartete nun ein Abenteuer der ganz anderen Art auf uns: der Großstadtdschungel von São Paulo. Begonnen hatte alles im 63. Stock des BANESPA-Gebäudes, wo wir einen Rundumblick über die endlosen Hochhausschluchten der Stadt riskierten. Mit knapp 20 Millionen Einwohnern im Großraum São Paulo war das nicht nur die größte Stadt unseres Lebens, sondern auch eine der größten Metropolen der Welt überhaupt. Unsere Besorgnis bezüglich möglicher Überfälle und Diebstähle war allerdings nach Guayaquil, Lima und La Paz nicht mehr ganz so groß, da wir auch diese Städte unbeschadet hinter uns gelassen hatten. Zu Recht, denn stattdessen sollten wir hier einige sehr liebe Menschen kennenlernen...
Zuerst haben wir den SERVAS-Koordinator von Südamerika kennengelernt und später außerdem ein junges Multitalent - Schauspieler, Tänzer und Choreograph in einem! Ohne diese beiden hätten wir wohl kaum eine Theatergruppe bei ihrer Arbeit, das japanischen Stadtviertel, ein italienischen Straßenfest, Live-Musik in einem Musik-Café oder eine außergewöhnliche Monstershow kennengelernt! Aber wenn man den Choreographen der allabendlichen Show im rennomierten Vergnügungspark Playcenter (portugiesisch!) kennt, dann gibt es eben nicht nur Backstage-Pässe, mit denen man überall umsonst Zugang hat, sondern lernt auch Schauspieler, Bühnenbauer und den Verantwortlichen des Karnevals von São Paulo kennen - was will man mehr? Da war es doch nur verständlich, dass wir nach unserem Zwischenstop in Rio noch einmal hierher zurückkehrten...
Wenn man von einer Stadt schon so viel gehört hat wie von Rio de Janeiro, dann ist es schwer, nicht mit zu hohen Erwartungen dort anzukommen. Glücklicherweise entsprach ein gewisser Teil genau dem, was wir uns so vorstellten: eine atemberaubende Küstenlinie - weiße Strände, wie die weltberühmten «Copacabana» und «Ipanema», umrahmt von schroffen, in den Himmel ragenden Felsen, wie dem «Pão de Açúcar» (Zuckerhut) und nicht zuletzt eine stattliche Christusfigur namens «Cristo Redentor», die in 710m Höhe auf dem Gipfel des «Corcovado» thront und von wo aus man einen spektakulären Blick auf die Stadt genießen kann.
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«Cristo Redentor» (38m hohe Christus-Statue in Rio)
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Blick auf Rio de Janeiro und den vorgelagerten «Zuckerhut».
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Leider bietet Rio dem Besucher, der sich nicht nur in der Nähe der gut abgeschirmten Touristenzentren und gesicherten Hotelanlagen aufhält, auch eine ganz andere Seite mit zahlreichen «Favelas» (Armenvierteln) mitten im Stadtgebiet (Mehr dazu unter Brasilien - Länderspezifischer Hinweis des Auswärtigen Amtes). Das sollte uns aber nicht davon abhalten, hier ein paar interessante Tage zu verleben. Was man beispielsweise auf jeden Fall probiert haben sollte, sind die an jeder Straßenecke verkauften «Vitaminas» - mit Milch gemischte Fruchtsäfte. Dabei können so manche Bars auf mehr als 30 verschiedene Fruchtsorten zurückgreifen, unter anderem solche Exoten wie Guave, Graviola, Acerola oder Cherimoya...
Genug hatten wir von Metropolen und den Millionen von Menschen! Ab jetzt würden wir in etwas ruhigeren Gegenden unterwegs sein, denn unser Ziel war es, auf direktem Kurs nach Süden die Grenze nach Uruguay zu passieren. Bevor wir aber in den spanischen Sprachraum zurückkehren konnten, lag noch eine ereignisreiche Wegstrecke vor uns, auf der wir noch einige liebenswerte Menschen kennenlernen sollten.
Eine der interessantesten Orte im südlichen Brasilien war Curitiba, ein perfektes Beispiel für gelungene Stadtplanung und 1996 auf dem Kongress der Stadtplaner dafür als «innovativste Stadt der Welt» ausgezeichnet. Wir wollten natürlich wissen, was genau hier so besonders sein soll und waren ziemlich überrascht: es gab unter anderem ein ausgefeiltes Verkehrssystem und unglaublich viele Parks sowie Erholungsbereiche, die oftmals sogar unter einem bestimmten Motto angelegt wurden, wie etwa der «Bosque Alemão» (Deutscher Wald). Zudem besuchten wir das wie ein riesiges Auge geformte «Museum Oscar Niemeyer», welches vom gleichnamigen Wegbereiter der modernen brasilianischen Architektur entworfen wurde. Niemeyer zählt zu den schaffensreichsten Architekten des 20. Jahrhunderts und entwarf unter anderem die Pläne für sämtliche öffentlichen Gebäude der Hauptstadt Brasília.
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Oscar Niemeyer Museum (Curitiba)
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Mittlerweile war es dann mal wieder soweit, dass wir uns in die Natur begaben und einen Ausflug in den «Parque Estadual de Vila Velha» wagten. Riesige rote Sandsteinfelsen, durch Erosion zu bizarren Gebilden verformt, erinnerten eher an die Überreste einer Stadt - daher auch der Name «Vila Velha» (Alte Stadt).
Noch beeindruckender waren aber die «Furnas» genannten, bis zu 100m tiefen Kraterlöcher, die durch von unterirdischen Wasseradern hervorgerufene Erdrutsche entstanden. Von den Einheimischen werden sie ehrfurchtsvoll als «Kochtöpfe der Hölle» bezeichnet.
Aber auch die nahe gelegene Atlantikküste hatte einiges zu bieten: mit der bunten Gebirgsbahn fuhren wir bis in die verträumte Hafenstadt Paranaguá, auf der winzigen «Ilha do Mel» (Honiginsel) stapften wir durch Mangrovenwälder und entlang der Küste sind wir endlose Kilometer nach Süden gefahren - bis nach Porto Alegre, unserer letzten Station in Brasilien. Nicht viel hatten wir von den Weiten Brasiliens gesehen, und trotz der Sprachbarrieren knüpften wir viele unvergessliche Kontakte. So auch in Porto Alegre, wo wir im Justizpalast mit Lokalpolitikern sprachen, im Rahmen einer Ausstellung mit ein paar Musikern Mate-Tee tranken und in der «Casa de Cultura Mário Quintana» eine Gaúcho-Band trafen, die uns zum Abschied sogar eine handsignierte CD schenkte! Zudem wurden wir immer wieder auf der Straße von Menschen angesprochen, deren Großeltern oder Bekannte selbst vor vielen Jahren von Deutschland hierher immigriert waren - und jedes Mal präsentierte man uns voller Stolz ein paar Brocken deutsch...
Schon längst waren wir an das portugiesische «obrigado» (danke) gewöhnt und wären am liebsten nach Norden gefahren, um auch Brasiliens Küste von Bahía bis Belém und das Amazonastiefland mit seinen Regenwäldern zu erkunden. Doch unser Ziel war Feuerland am äußersten Südzipfel des Kontinents, und deshalb bereisten wir als nächstes Uruguay - ein Land, von dem wir bis dahin noch keinerlei Vorstellung hatten. Aber dies sollte sich natürlich in den folgenden Tagen gewaltig ändern... Mehr zu Uruguay.
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