Es war schon fast dunkel, als wir auf der bolivianischen Seite des Titikaka-Sees anlegten. Einheimische halfen uns aus den Booten, denn einen Landungssteg gab es nicht. Schnell liefen wir, bepackt mit unseren Rucksäcken, etwa zwei Kilometer in Richtung des Grenzpostens. Zügig waren die Formalitäten erledigt und wir fuhren mit einem Taxi in das nahe gelegene Copacabana. Es war also geschafft - wir waren in Bolivien! Total müde und dennoch aufgeregt fragten wir uns, was wohl nach dem so beeindruckenden Peru noch kommen könne. Aber wir hatten die Schönheit Boliviens gründlich unterschätzt...
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Deutliche politische Positionierung!
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Das Erste, was uns auffiel, war die soziale Stellung Boliviens - wo sonst würden wir wohl ein Mittagsmenü mit Vorsuppe, einer Trucha Frita (panierte Forelle), Nachtisch und Getränk für weniger als 1 US-Dollar bekommen? Wir merkten schnell, dass wir gerade das ärmste Land Südamerikas bereisten und waren daher umso mehr von der Freundlichkeit und Gelassenheit der Menschen auf den Straßen überrascht, die viel dazu beitrugen, dass wir hier einen schönen Start hatten.
Natürlich wollten wir zuerst einmal nach La Paz und wir hatten Glück. Die wochenlangen schweren Proteste, die einen Besuch dieser wichtigsten Stadt Boliviens quasi unmöglich gemacht hätten, wurden ein paar Tage vor unserer Ankunft mit einem unsicheren Waffenstillstand beendet, von dem niemand wusste, wie lange er andauern würde. Und so freuten wir uns, bisher überall ohne größere Probleme durchgekommen zu sein.
Obwohl der Großraum von La Paz nur etwa 1,5 Mio. Einwohner zählt, war die Stadt lebendiger als alles, was wir bisher gesehen hatten und der Verkehr von Autos und Menschen war so dicht, dass wir oft Mühe hatten, uns nicht im Gewirr zu verlieren. Dabei erwies sich La Paz als einzige hektische Stadt Boliviens, in der neben vermummten Schuhputzern und unzähligen anti-nordamerikanischen Bildern und Sprüchen an Hauswänden vor allem das Coca Museum in Erinnerung blieb. Hier wird spannend die gesamte Geschichte der Nutzung des Coca-Strauches (Erythroxylum coca) beschrieben, der schon seit geraumer Zeit eine wichtige rituelle, medizinische und wirtschaftliche Rolle für Bolivien spielt. So wurden u.a. bis 1905 die Blätter der Coca-Pflanze für die Herstellung von Coca-Cola verwendet, können heute aber vor allem in Form von «Mate de Coca» genanntem Tee genossen werden - dem Nationalgetränk des Landes.
Da wir schon so viel von einer spektakulären Tour über den größten Salzsee der Erde, den «Salar de Uyuni», gehört hatten, hielten wir es nicht lange in La Paz aus und machten uns auf den Weg in den Südwesten des Landes. Dabei folgten wir den kahlen, endlosen, nur sehr dünn besiedelten Weiten des Altiplanos. Diese Hochebene - hier waren wir für die nächsten paar Wochen einer Höhe von mindestens 3600m ausgesetzt und erreichten stellenweise knapp 5000m - erstreckt sich vom Süden Perus über mehr als 1000km bis in den Norden Chiles hinein, weist ein sehr rauhes Klima auf und sollte eine der überwältigendsten und interessantesten Landschaften unserer Reise werden. Schon der Weg dorthin ließ einiges erahnen: in Oruro besuchten wir ein stillgelegtes Bergwerk und blieben extra ein paar Tage länger, um das letzte Stück bis Uyuni mit dem Zug fahren zu können. So genossen wir dann auch die Aussicht auf Steppen und halbwegs ausgetrocknete Seen und über all dem einen goldgelben Sonnenuntergang.
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Salzgewinnung auf dem größten Salzsee der Erde: «Salar de Uyuni»
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Der «Arbol de Piedra» (Steinbaum) ist eine bizarre Felsformation.
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Die von Rotalgen gefärbte «Laguna Colorada» auf 4300m.
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Die Attraktivität dieser touristisch noch recht unerschlossenen Gegend schien sich schon herumgesprochen zu haben. Der kleine Ort Uyuni, am Rande des riesigen Salzsees gelegen, bestand nämlich fast nur aus Reiseveranstaltern, die dem nicht enden wollenden Touristenstrom eine meist mehrtägige Tour über den Salar de Uyuni verkaufen wollten, und winzigen Cafés, allen möglichen Hotels und Restaurants, die genau diesen Touristenstrom vor und nach der Tour versorgten. Auch wir ließen uns darauf ein, eine viertägige Tour in einem 20 Jahre alten, aber dennoch robusten Geländewagen zu buchen und sollten es auch nicht bereuen, trotzdem am letzten Tag eine schwere Lebensmittelvergiftung für eine ungewollte Abwechslung sorgte...
Was wir auf dieser Exkursion zu sehen bekamen, war eine Landschaft, die fremdartiger kaum sein konnte. Als erstes fuhren wir über eine Fläche aus Salz, die so groß war, dass man Stunden brauchte, um mit dem Fahrzeug zur im Herzen des «Sees» gelegenen Insel namens «Isla Incahuasi» zu gelangen. Die Insel war übersät mit Kakteen, die teilweise eine Höhe von 12m erreichten! Wenig später tauchten wir in das Naturschutzgebiet Reserva Nacional de Fauna Andina Eduardo Avaroa ein, einer wüstenartigen Landschaft mit farbenprächtigen Lagunen, zeitweise rauchenden Vulkanen, durch Erosion entstandenen skurrilen Felsformationen und Geysiren in einem Vulkankrater in fast 5000m Höhe. Übernachtet haben wir in winzigen Dörfern, in denen man weder Strom, Heizungen oder fließend Wasser kannte, so dass wir uns früh in alle Decken und Schlafsäcke einpackten, die wir finden konnten. Und so kamen wir unversehrt durch die bis zu -20 Grad kalten Nächte mit ihrer dünnen und glasklaren Luft...
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In der Silbermine von Potosí.
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Nach diesem Ausflug in eine fast menschenleere Welt zogen wir weiter - unser nächstes Ziel war Potosí auf 4000m. Die Stadt, die im 17. Jahrhundert mal die zweitgrößte Stadt der Welt war (nach London) liegt am Fuß des berühmten Silberberges «Cerro Rico» und ist noch heute von dessen Silbervorkommen abhängig. Da konnten wir es uns natürlich nicht entgehen lassen, eine der Minen zu besichtigen, doch was wir vorfanden, war schockierend.
Mit durchschnittlich 14 Jahren beginnen die Jungen, in den Minen zu arbeiten. Es gibt natürlich kein Licht und kaum Stützbalken. Dafür beißt die teilweise mit giftigen Gasen gefüllte Luft in der Nase und der Sauerstoffmangel zwang uns immer wieder zu einer Pause. Die Arbeitsbedingungen der «Mineros» sind so schlecht, dass bis heute noch viele 100 von ihnen jährlich durch Unfälle oder an den Folgen der Arbeit sterben - und das für etwa 4 Dollar pro Tag! Die Bilder der Indios haben sich eingebrannt: Indios, die dort in den Minen fast ihr ganzes Leben verbringen, die sich über eine Stange Dynamit freuen, das sie sonst selbst bezahlen müssen, die den ganzen Tag Coca kauen, um Müdigkeit, Hunger, Angst vor Unfällen und Schmerzen besser ertragen zu können und die unter Tage eine Götzenfigur - den «Tio» - anbeten, der sie vor dem Berg schützen soll.
Nach etlichen Wochen auf Höhen zwischen 3000 und 4000 Metern hatten wir endlich genug von extremen Temperaturunterschieden, dünner Luft und schaukeligen Busfahrten auf endlosen Serpentinen. Via Sucre, der offiziellen Hauptstadt Boliviens, und Cochabamba verloren wir kontinuierlich an Höhe und steuerten direkt den bolivianischen Regenwald im Norden des Landes an. Ziel war die größte Stadt Boliviens, Santa Cruz de la Sierra, von wo aus wir dann in Richtung Paraguay weiterziehen wollten. Vorher sollte allerdings noch eine Begegnung der ganz besonderen Art auf uns warten...
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Villa Tunari, ein Dorf am Rande des bolivianischen Urwalds.
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Dass wir die mächtigen Anden hinter uns gelassen hatten, wurde uns erst so richtig bewusst, als wir in die üppige Pflanzen- und Tierwelt des tropischen Tieflandes eintauchten - wir konnten unmöglich noch im selben Land sein, in dem wir kurz zuvor noch riesige Salzseen und ewige Wüsten durchquerten, vorbei an Vulkanen und vereisten Lagunen! Hier, am Rande des Regenwaldes, konnten wir uns kaum retten vor Affen, Riesenameisen, Papageien und dichten Wäldern voller Baumfarnen, Lianen und Palmen. Außergewöhnlich war dabei nicht nur die Begegnung mit einem Ozelot (Felis pardalis), sondern auch die Dreistigkeit der kleinen Kapuzineraffen (Cebus apella), die blitzschnell sämtliche Hosen- und Hemdtaschen durchstöberten - glücklicherweise wurden wir vorher aufgeklärt und konnten entsprechende Vorbereitungen treffen.
Unsere letzte Station war Santa Cruz de la Sierra. Aber Bolivien sollte sich nicht verabschieden, ohne auch eine böse Überraschung für uns bereitzuhalten. Da wir für die letzten Tage noch etwas Geld tauschen mussten, aber Sonntags weder Wechselstuben noch Banken geöffnet hatten, wichen wir auf die herumstehenden Geldwechsler aus. Dies sollte uns jedoch zum Verhängnis werden, da wir kurzerhand ausgetrickst und so um 50 Bolivianos betrogen wurden. Erst eine halbe Stunde später fiel uns der Schwindel auf, doch mit viel Geschick, genügend Vorsichtsmaßnahmen und einer gehörigen Portion Glück bekamen wir unser Geld letztlich doch noch. Auf diese Erfahrung hätten wir gern verzichtet, aber es war uns wenigstens eine Lehre für zukünftige Geldangelegenheiten!
Es war das Neue, das Unbekannte, was uns dazu veranlasste, als nächstes Land Paraguay auszuwählen. Den «Gran Chaco» wollten wir durchqueren - eine Region, die wohl extremer nicht sein könnte. Hier sollten die Temperaturen tagsüber bis auf 48 Grad ansteigen und nachts teilweise auf unter Null fallen. Bei Regen sollte die einzige Straße außerdem quasi unpassierbar sein und sämtliche Reiseführer rieten zu Proviant für mindestens eine Woche! Doch wir wollten uns davon nicht abschrecken lassen und buchten einen internationalen Bus nach Asunción in Paraguay. Mehr zu Paraguay.
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