Unsere Pässe waren gestempelt, die Sonne stand schon hoch am Himmel und wir waren sichtlich aufgeregt, als wir plötzlich die Skyline von Buenos Aires am Horizont auftauchen sahen. Dann ging alles ziemlich schnell: anlegen, stempeln, raus aus dem Hafen und ab ins Hotel. Noch vor dem Frühstück waren wir somit bereit, um die Stadt zu erkunden, die sich schon am ersten Tag als die für uns schönste Stadt Südamerikas entpuppen sollte.
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Hier wurde der Tango erfunden, Stadtteil «La Boca» (Buenos Aires)
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Tango «Open Air» in Buenos Aires.
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Für uns war schon lange vorher klar gewesen, dass wir in Buenos Aires mindestens zwei ganze Wochen verbringen wollten. Klar war auch, dass wir uns schon riesig darauf freuten, in der Geburtsstadt des Tango nicht nur die Tango-Shows in den Cafés und auf den Straßen anzuschauen, sondern selbst Tanzstunden zu nehmen! Gesagt, getan: fast jeden Tag haben wir eine neue Tanzschule ausprobiert, doch das Angebot der beiden Tangoschulen Tango Ideal - Confitería Ideal und Escuela Buenos Aires Tango Shop gefiel uns besonders gut - in letzterer unterrichtete uns sogar ein ehemaliger Professor von der hier ansässigen renommierten Tango-Akademie. Jeder, der in dieser Stadt lebt, schien Tango zu tanzen, was Buenos Aires einen sehr speziellen Charme verlieh.
Wie im Flug vergingen die Tage in Buenos Aires, wo wir jeden Samstag das Argentinische Tageblatt lasen und fast jeden Tag ein anderes Stadtviertel besichtigten. Da gab es zum einen «La Boca», bekannt vor allem für seine ehemals aus altem Schiffsblech erbauten bunten Häuser rund um die Fußgängerzone «El Caminito». Man sagt, dass irgendwo hier der Tango erfunden wurde... Aber auch andere Stadtviertel hatten viel zu bieten, wie etwa das malerische «San Telmo» mit seinem riesigen Antiquitätenmarkt, «Palermo» mit seinen Parks und Gärten oder «Recoleta», bedeutend für seinen Friedhof, wo sich unter anderem das Grab von Eva Perón (besser bekannt als «Evita») befindet. Der Besuch einer feurigen Tango-Show im Tango-Museum, ein Spaziergang entlang der «Avenida 9 de Julio», einer der breitesten Straßen der Welt und ein Frühlingsfest bei hochsommerlichen Temperaturen rundeten den Aufenthalt im unvergesslichen Buenos Aires ab, so dass uns der Abschied sichtlich schwer fiel. Doch Argentinien war groß und deshalb fuhren wir als nächstes nach Córdoba - eine Stadt zwischen endloser Pampa und aufsteigender Andenkordillere...
Da war es nun, das ganz andere Argentinien! Nichts erinnerte an die moderne und nie schlafende Hauptstadt. Stattdessen gab es aber eine ausgiebige «Siesta» (Mittagsruhe), in der kein einziges Geschäft oder Restaurant geöffnet hatte, um uns daran zu erinnern, wie heiß und unerträglich die Hitze hier in den Sommermonaten werden kann, und die selbst im eher kalten Süden noch bis zu fünf Stunden dauern konnte.
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Versammelte Klasse der Schule «Humberto Pereyra» in La Rioja.
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Bis zu 150m hohe Felsformationen im Nationalpark «Talampaya».
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Córdoba selbst wirkte nicht wie die zweitgrößte Stadt Argentiniens, sondern war eher ziemlich verschlafen. Dies sollte uns aber nicht weiter stören, denn wir hatten ja hier eigentlich nur Halt gemacht, um in das nicht weit entfernte, kleine Dorf Alta Gracia zu fahren. Dieser romantische Ort lag direkt am Fuße der Bergkette namens «Sierras de Córdoba» und bot eine ganze Menge Sehenswürdigkeiten. Besonders aufregend waren die Besichtigung einer gut erhaltenen, uralten Jesuiten-Estancia, der Besuch des Hauses von Che Guevara, der hier seine Kindheit und Jugend verbrachte, sowie das Haus des spanischen Komponisten Manuel de Falla, der sich hier zur Ruhe setzte, bis er 1946 starb.
Mit einer leisen Vorstellung von einsamer Pampa und endlosen, kerzengeraden Straßen wagten wir uns als nächstes in den abgeschiedenen Nordwesten des Landes, bis in die Provinz «La Rioja», von wo aus wir einen spektakulären Ausflug in den Nationalpark «Talampaya» unternehmen wollten - und wir sollten unser Abenteuer bekommen. Begleitet von einer Schulklasse, die uns freundlicherweise mitnahm, erkundeten wir den tief eingeschnittenen Cañon mit bis zu 150m hohen Wänden, alte Felsmalereien und eine außergewöhnliche Pflanzenwelt. Während der langen Fahrt tranken die Lehrer mit uns Mate und teilten die Vorräte mit uns - rundum also ein gelungenes Erlebnis! Schwierig wurde es ab hier, auf gut Glück eine Unterkunft zu finden, was später in Patagonien dann gänzlich unmöglich war und uns veranlasste, nach unserer nächsten Station - Mendoza - fast sämtliche Hotels einige Tage im Voraus zu buchen.
Mendoza, eine lebendige und bunte Stadt, die uns sehr gefallen hat, war unser Sprungbrett nach Patagonien - einem nicht genau abgrenzbaren Teil von Südamerika, der fast den gesamten Süden Argentiniens und Chiles umfasst (ausgenommen die Antarktis). Von hier aus tauchten wir in eine Welt ein, die zwar nur sehr dünn besiedelt war, aber dafür aufgrund der umwerfenden Landschaft mit ihren zahlreichen Attraktionen touristisch sehr gut erschlossen und dadurch leider auch extrem kostspielig.
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70 Mio. Jahre alter Baumstamm im «Bosque Petrificado J. Ormachea».
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Erster Anlaufpunkt im Norden Patagoniens war San Martín de los Andes, ein schnuckeliger Ort mit vielen vornehm mit Holz verkleideten Häusern und einer Umgebung reich an Seen und Vulkanen. Doch unser Ausflug zum schönsten Berg Argentiniens, dem Vulkan Lanín, entpuppte sich dann leider als routinierte Kaffeefahrt mit Touri-Abzocke, woran wir natürlich überhaupt keinen Spaß hatten und fortan unsere Touren noch weitaus sorgfältiger aussuchten. Auch die folgenden Stationen San Carlos de Bariloche, Esquel und Trevelin boten eher alpines Ambiente - Seen, schneebedeckte Berge und Skivereine. Nur das kleine Städtchen El Bolsón, dem schon lange eine mystische Aura nachgesagt wird und welches 1984 zur atomfreien Zone erklärt wurde (frei von radioaktiver Verschmutzung), war eine willkommene Abwechslung. Entsprechend diente es vielen Immigranten aus allen Regionen Argentiniens, aber auch aus Europa, sowie unzähligen Hippies Ende der 1960er Jahre als Ort des Neubeginns. Typisch für die Gegend um El Bolsón war der Bosque Tallado, ein Wald auf 1400m Höhe, in dem etliche aus abgestorbenen Bäumen geschnitzte Figuren verteilt waren, die allem einen ganz eigenen Charakter verliehen.
Zurück an die Atlantikküste zog es uns, da dort unglaubliches auf uns warten sollte. Also machten wir uns auf den direkten Weg nach Puerto Madryn, um in den nächsten Tagen ein weiteres Abenteuer zu erleben - Wale! Als Touristenattraktion gilt hierbei die Halbinsel Península Valdés, allerdings nicht wegen ihrer eher kargen Landschaft, wo es neben ein paar Maras (Dolichotis patagonum) und Gürteltieren (Zaedyus pichiy) kaum etwas zu bestaunen gibt. Von besonderer Bedeutung sind vielmehr die Meeressäuger, allen voran der Südliche Glattwal (Eubalaena australis), der sich jedes Jahr in den umliegenden Buchten zur Paarung und Jungenaufzucht einfindet. Zu beobachten, wie eine Walmutter mit ihrem Baby im flachen Wasser vor der Halbinsel verspielt ihre Kreise zog, ließ uns alles andere um uns herum vergessen - es war einfach überwältigend! Dennoch ist diese Art Tourismus fraglich, da sich die Boote voller Schaulustiger teilweise bis auf 10m an diese Geschöpfe herantasteten...
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Gruppe von Magellan-Pinguinen in der Nähe von Puerto Deseado...
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Weiter südlich sollten außerdem noch riesige Pinguin-Kolonien, Delfine und malerische Felsküsten auf uns warten, aber vorher machten wir noch einen Abstecher ins Landesinnere. Wir fuhren nach Sarmiento, einem winzigen Ort mitten im Nichts, der aber trotzdem immer wieder Besucher anzieht, und zwar wegen des versteinerten Waldes «Bosque Petrificado José Ormachea» etwa 30km südlich davon. Hier hat es vor rund 70 Mio. Jahren einmal einen Araukarienwald (Araucaria spp.) gegeben, von dessen versteinerten Überresten heute noch der Boden in dieser Gegend übersät ist. Wie eine bizarre Mondlandschaft wirkten die heute pflanzenlosen sanften Felsen, die sich in allen roten und grauen Farbtönen vom wolkenlosen Himmel abheben. Ein Abstecher, der sich gelohnt hat.
Zurück an der Küste merkten wir, dass wir schon gut vorangekommen waren - nun fehlten nur noch rund 1500km bis an die Südspitze des Kontinents, aber natürlich sollte es uns bis dahin nicht langweilig werden. Als nächstes stießen wir auf die Stadt Comodoro Rivadavia, die zwar touristisch wenig reizvoll, aber dennoch interessant war. Bedeutsam nur als Industrie- und Hafenstadt, gab es hier ein Museum, dass sich ausgiebig mit der Geschichte und dem Ablauf der Ölförderung in dieser Region befasst, das «Museo Nacional del Petróleo». Es ist sehr empfehlenswert für alle, die sich nicht nur mit dem Anblick der vielen «Bombeos» begnügen möchten - den vielen das Bild der Landschaft prägenden Ölpumpen, die durch rhythmische Auf- und Ab-Bewegungen das «schwarze Gold» aus den Tiefen der Erde an die Oberfläche fördern.
Uns stand der Sinn aber schon wieder nach Natur, und davon bekamen wir in den folgenden Tagen reichlich. Da wir gut im Zeitplan lagen, entfernten wir uns ein wenig von der eigentlichen Route und besuchten das abgeschiedene Fischerdorf Puerto Deseado, wo wir eine unserer schönsten Touren bekommen sollten. Da es hier so gut wie keine Touristen gab, konnten wir eine geführte Bootstour nur für uns beide organisieren. Und was es zu sehen gab, war einfach märchenhaft: als erstes begleiteten mehrere schwarz-weiße Commerson-Delfine (Cephalorhynchus commersonii) minutenlang unser Boot, dann beobachteten wir Brutkolonien von drei verschiedenen Kormoran-Arten (Phalacrocorax spp.), kamen an Inseln voller Seelöwen (Otaria flavescens) vorbei und erreichten schließlich eine Insel, auf der es von süßen Magellan-Pinguinen (Sphenisus magellanicus) mit ihrem frisch geschlüpften Nachwuchs nur so wimmelte.
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«Les Éclaireus» heißt dieser Leuchtturm am Ende der Welt.
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Nach solch einem Erlebnis fällt es schwer, sich wieder loszureißen - wie gern wären wir noch geblieben. Andererseits war es endlich soweit, denn unser nächstes Ziel war die südlichste Stadt der Welt, Ushuaia, auf der Insel Tierra del Fuego (Feuerland). So leicht sollten wir aber nicht davonkommen, denn bevor wir erschöpft Ushuaia erreichten, hatten wir viermal das gesamte langwierige Prozedere der Grenzkontrolle zwischen Argentinien und Chile zu durchlaufen. Offensichtlich ist hier unten noch lange nichts vergessen von dem, was sich an Streitigkeiten und Landforderungen seit Jahrhunderten zwischen den beiden Nachbarstaaten abspielte und teilweise noch bis heute andauert.
Glücklicherweise hatte sich die Plagerei gelohnt, denn das in einer malerischen Bucht gelegene und von bizarren Bergen umgebene Ushuaia gibt einem wirklich das Gefühl, am Ende der Welt zu sein. Außerdem stand schließlich noch ein Ausflug zum «Faro del Fin del Mundo» (der Leuchtturm am Ende der Welt) auf dem Plan, welcher erst durch die gleichnamige Novelle von Jules Verne unter diesem Namen berühmt geworden ist und eigentlich «Les Éclaireus» heißt. Es war vielleicht der schönste Leuchtturm, den wir bisher gesehen hatten, aber noch nie wehte uns wohl solch ein eisiger Wind um die Nase wie hier auf dem Beagle-Kanal!
Nach einigen Tagen am kontinentalen Ende Südamerikas begaben wir uns auf unseren Rückweg, das heißt, wir fuhren wieder in Richtung Norden, da wir irgendwann in Santiago de Chile ankommen wollten, von wo aus wir die Heimreise antreten wollten. Dass wir vorher allerdings erst noch eines unserer größten Abenteuer dieser Reise erleben würden, hätten wir nicht gedacht. Aber vor uns lag noch der riesige Nationalpark «Los Glaciares» mit seinen gewaltigen Gletschern. So begaben wir uns in den mit Abstand touristischsten Ort Argentiniens, El Calafate, unweit des berühmten Perito-Moreno-Gletschers.
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Fast 60m aufragende Eiswände des Gletschers «Perio Moreno».
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Kaum ein Einheimischer war auf den Straßen zu sehen, dafür wimmelte es an allen Ecken nur so von Touristen. Doch davon ließen wir uns nicht beirren - schließlich wartete auf uns eine 60m hohe Eiswand, die von ständigem Knacken und Krachen begleitet wird!
Während der Fahrt zum Perito-Moreno-Gletscher nahm die Temperatur kontinuierlich ab, bis wir vor der Gletscherwand selbst sogar Minusgrade hatten. Unzählige Touristen warteten gespannt auf den nächsten Abbruch an der Gletscherfront, denn die 60km lange Eismasse schiebt sich geräuschvoll rund einen Meter pro Tag vorwärts, doch nur wenige hatten Glück und drückten den Auslöser im richtigen Moment...
Nach diesem Naturschauspiel gab es nur noch ein Ereignis für uns in Argentinien - die Ankunft unseres Freundes, der uns die letzten Wochen unserer Reise begleiten wollte. Eigentlich hatten wir ihn schon in El Calafate treffen wollen, doch da sich seine Flüge schon in Europa verzögerten, verabredeten wir uns für San Carlos de Bariloche, etwa 1500km weiter nördlich. Für uns kam nur eine Strecke in Frage, um dorthin zu gelangen - die «Ruta 40». Diese Nationalstraße war bekannt für ihren einzigartigen Charakter: zwei Tage lang ging es täglich 12 Stunden lang auf Schotterpisten durch die patagonische Pampa, vorbei an mächtigen Felsmassiven, bunten Höhlenmalereien und wüstenartigen Landschaften. Und wenn wir Glück hatten, dann sahen wir nicht nur den aufgewirbelten Straßenstaub, sondern ab und zu auch einen aufgeschreckten Nandu (Rhea americana), der auch unter dem Namen «Pampa-Strauß» bekannt ist.
Letzte Station: San Carlos de Bariloche, und unser Freund war auch schon angekommen! Untergebracht im Dachgeschoss eines gemütlichen Häuschens, besprachen wir nun gemeinsam unseren letzten Reiseabschnitt. Selbstverständlich stand erst noch eine ausgiebige Rundtour über den angrenzenden See «Nahuel Huapi» an, bevor wir uns dann auf den Weg in das letzte Land unserer Reise machten, Chile. Mehr zu Chile.
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